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5.10  Harmonischer Oszillator

Wenn die potentielle Energie V (x) eine quadratisch von x abhängt ist die Bewegung des Teilchens beschränkt und analog zum Fall eines klassischen harmonischen Oszillators. Der Operator ^
H hat die Form

        2   2
^H = − -ℏ--∂---+ 1-m ω2x2
      2m  ∂x2   2
(5.1)

mit der potentiellen Energie

        1    2 2
V (x) = -m ω  x
        2
(5.2)

Die Lösungen der Schrödingergleichung sind stationär und haben, dem Separationsansatz entsprechend, die Form

ψ(x, t) = e− iEt∕ℏϕ(x)
(5.3)

Damit können wir die zeitunabhängige Schrödingergleichung verwenden

    2  2
− -ℏ--∂-ϕ-+ 1-m ω2x2ϕ =  Eϕ
  2m  ∂x2   2
(5.4)

__________________________________________________________________________

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Mögliche Energiefunktion eines harmonischen Oszillators.

_____________________________________________________________________

Wir definieren drei Parameter und ersetzen die Variable x durch u

    ∘ ----
      -ℏ--
b =   m ω

𝜖 = -E-
    ℏ ω
u = x-
     b
(5.5)

Die Gleichung 5.4 lautet dann (siehe auch [CH67, p. 280, Kap. 5, §10])

    2
− ∂--ϕ (u) + u2 ϕ(u) = 2𝜖ϕ(u)
  ∂u2
(5.6)

Um die Eigenfunktionen ϕn und die Eigenwerte 𝜖n (oder En) zu finden, definieren wir die folgenden Operatoren:

        (        )        (          )
^a† = √1-- u − -∂-  =  -1√--- x − b2-∂-
       2      ∂u      b  2        ∂x
      1 (      ∂ )     1  (        ∂ )
^a =  √--- u + ---  =  -√--- x + b2---
       2      ∂u      b  2        ∂x
(5.7)

Die Operatoren ^a und ^a sind nicht hermitisch (also nicht selbstadjungiert). Sie sind aber adjungiert zueinander. Deshalb kann man mit

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formal schreiben

        (            2)
^a†^a = 1-  u2 − 1 − ∂---
      2            ∂u2
(5.9)

und mit Gleichung (5.6)

               (          )
(   †     )       2    ∂2
  2^a ^a + 1 ϕ =   u  − ∂u2-  ϕ = 2𝜖ϕ
(5.10)

und

(       1)
  ^a†^a + -- ϕ(u) = 𝜖ϕ (u )
        2
(5.11)

Wir definieren einen neuen Hamiltonoperator (Faktor 2 Unterschied zum Original) mit den Operatoren ^a und ^a

      †    1
^H =  ^a ^a + --
           2
(5.12)

Weiter haben wir

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Der Kommutator der Operatoren ^a und ^a hat den Wert (Gleichungen (5.8) und (5.13))

[   †]     †    †
 ^a,^a  =  ^a^a −  ^a ^a = 1
(5.14)

Die Eigenschaften des Kommutators zeigen, dass

[^a,^a ] = 0
(5.15)

und

[    ]
^a †,^a † = 0
(5.16)

Wir wollen nun untersuchen, wie die Gleichung (5.11) sich ändert, wenn wir sie von links mit ^a oder ^a multiplizieren. Wir schreiben Gleichung (5.11) um

           (    1)
^a†^aϕ (u) =  𝜖 − -- ϕ (u )
                2
(5.17)

Multiplizieren wir Gleichung (5.17) von links mit ^a und verwenden Gleichung (5.14) erhalten wir

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Wenn ϕ(u) eine Lösung der Gleichung (5.17) mit dem Eigenwert (𝜖 12) ist, ist ^aϕ(u) eine Lösung der gleichen Gleichung (5.17), aber mit dem Eigenwert ((𝜖 − 1∕2) − 1). Der Operator ^a erniedrigt den Eigenwert um 1. Er wird Absteigeoperator oder Vernichtungsoperator genannt.

Multiplizieren wir Gleichung (5.17) von links mit ^a und verwenden Gleichung (5.14) erhalten wir

pict

Wenn ϕ(u) eine Lösung der Gleichung (5.17) mit dem Eigenwert (𝜖 12) ist, ist ^aϕ(u) eine Lösung der gleichen Gleichung (5.17), aber mit dem Eigenwert ((𝜖 − 1∕2) + 1). Der Operator ^a erhöht den Eigenwert um 1. Er wird Aufsteigeoperator oder Erzeugungsoperator genannt.

Wenn wir eine endliche Energieskala haben, muss es eine kleinste Energie und damit auch einen kleinsten Eigenwert geben. Das heisst, es muss eine Ortswellenfunktion ϕ0(u) geben, auf die angewandt der Vernichtungsoperator ^a eine Nullfunktion ergibt.

^aϕ (u) = 0
  0
(5.20)

Wir verwenden die Definition von ^a und erhalten

pict

Die Konstante C ergibt sich aus der Normalisierungsbedingung

 ∞
 ∫   ∗                          −1∕4
    ϕ0(u)ϕ0(u)du =  1 = ⇒ C = π
−∞

Die normierte Wellenfunktion des Grundzustandes des harmonischen Oszillators in den Koordinaten u und x ist

          1      (  1  2)             ( m ω)1 ∕4     (  m ω  2)
ϕ0(u) = π1-∕4 exp  − 2u    =⇒  ϕ0(x) =   ℏπ--    exp  − 2-ℏ-x
(5.22)

Ausgehend von ϕ0(u) können wir nun durch die wiederholte Anwendung von ^a auf ϕ 0(u) alle Lösungen generieren.

Die ersten nicht normierten Funktionen sind

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Mit der Normalisierungsbedingung, dass das Integral über der Wahrscheinlichkeitsdichte gleich eins sein soll, bekommen wir

pict

Aus ^aϕ0(u) = 0 und Gleichung (5.17) folgt, dass

    1                  1
𝜖0 − 2-= 0  =⇒    𝜖0 = 2-
(5.25)

Allgemein ist also

          1
𝜖n = n +  2- ∀n ∈ ℕ ∪ {0}
(5.26)

Wir erinnern uns an die Substitutionen in Gleichung (5.5). Deshalb sind die

Energieeigenwerte des harmonischen Oszillators

      (      )
En =   n + 1-  ℏω  ∀n ∈ ℕ  ∪ {0}
           2
(5.27)

Die gleichabständigen Energieeigenwerte des harmonischen Oszillators sind für diesen charakteristisch. Der kleinste Energieeigenwert E0 hat den Wert ω∕2. Es ist nicht möglich, einen harmonischen Oszillator in Ruhe zu haben. Die minimale Energie E0 ist die Nullpunktsenergie. Sie bewirkt, dass harmonische Oszillatoren immer Energie enthalten, egal wie tief die Temperatur sinkt. Das heisst, die Boltzmannverteilung aus der klassischen Thermodynamik gilt nicht mehr.

5.10.1  Hermite-Polynome und der harmonische Oszillator

Die Lösungen von Gleichung (5.17) können mit Hermite-Polynomen ausgedrückt werden.[CH67, p. 77, Kap. 2, §9, 4.]

                               (    )
            1     1               u2
ϕn(u) =  ∘--√---√--nHn (u )exp  − ---
          n!  π   2                2
(5.28)

mit

                   (  ) ∂n      (    )
Hn (u) = (− 1 )n exp u2  ----exp  − u2
                        ∂un
(5.29)

Die ersten (nicht normierbaren) Hermite-Polynome sind

H0 (u) = 1
H  (u) = 2u
  1
H2 (u) = 4u2 − 2
H  (u) = 8u3 − 12u
  3          4      2
H4 (u) = 16u  − 48u  +  12
H5 (u) = 32u5 − 160u3  + 120u
(5.30)

Die Normierungsbedingung ist erfüllt, da

 ∫∞            ∫∞                   (    )
    ϕ2 (u )du =    ----1√--H2 (u)exp  − u2  du = 1 ∀n  ∈ ℕ∪ {0}
     n            2nn!   π  n
− ∞            −∞

ist. Hermite-Polynome haben die folgenden Eigenschaften

H  (− u ) = (− 1)nH (u)
  n               n
(5.31)

∫ + ∞                2                     √ --
      Hm (u)Hn (u)e−u du =  Hm ⋅ Hn =  2nn!  πδmn
 − ∞
(5.32)

__________________________________________________________________________

pict

Die ersten acht Hermite-Polynome.

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5.10.2  Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators

Wenn wir die Substitutionen aus Gleichung (5.5) rückgängig machen, erhalten wir aus Gleichung (5.24)

pict
pict

Die Normierungsbedingung ist

∫ +∞
      ϕ∗(x)ϕ  (x)dx = ϕ   ⋅ ϕ = δ
 − ∞   m     n          m   n    mn
(5.35)

__________________________________________________________________________

pict

Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators

_____________________________________________________________________

_____________________________________________________________________

pict

Wahrscheinlichkeitsdichte der Wellenfunktionen des harmonischen Oszillators

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5.10.3  Klassischer Grenzfall

In diesem Abschnitt soll der quantenmechanische harmonische Oszillator mit dem klassischen Grenzfall verglichen werden. Zuerst soll die Aufenthaltswahrscheinlichkeit als Funktion des Ortes x für einen klassischen Oszillator

x (t) = a sin (ωt )
(5.36)

und der Amplitude a verglichen werden. Je schneller sich der Oszillator bewegt, desto weniger wahrscheinlich ist sein Aufenthalt am Orte x. Die Geschwindigkeit ist dann

v(t) = aω cos(ωt)
(5.37)

Mit der obigen Argumentation ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit proportional zum Kehrwert der Geschwindigkeit, also

              C
p(x(t)) = -----------
          aω cos(ωt)
(5.38)

Aus dem Ort bekommen wir die Zeit

          (  )
    arcsin  xa
t = ----ω-----
(5.39)

Eingesetzt in Gleichung (5.38) bekommen wir

          --------C----------  ---------C---------
p(x(t)) =       (  arcsin(xa) ) =        (      (x ))
          aω cos  ω---ω----    a ωcos  arcsin   a

                         = ---∘-C------= --√--C------
                           a ω  1 − x22   ω   a2 − x2
                                    a
(5.40)

Die Konstante C ergibt sich aus der Normierierungsbedingung

    ∫a     C           C π
1 =    -√--------dx =  ----
   − a ω  a2 − x2       ω
(5.41)

Damit ist die klassische Wahrscheinlichkeitsdichte des klassischen harmonischen Oszillators

p(x) = ω---√--1------= --√--1------
        πω   a2 − x2   π   a2 − x2
(5.42)

Die klassische Wahscheinlichkeitsdichte divergiert an den Grenzen ±a. Dies ist ein Hinweis, dass die klassische Physik vielleicht doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Wir vergleichen nun die klassische Wahrscheinlichkeitsdichte mit der quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitsdichte.

__________________________________________________________________________

pict

Wahrscheinlichkeitsdichten. Die durchgezogene Linie ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des harmonischen Oszillators für 𝜖0 = 1
2 oder E0 = 1
2ω.

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Bei Abbildung 5.10.3 ist klar ersichtlich, dass die klassische Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung und die quantenmechanische nicht übereinstimmen. Die beiden blauen Linien markieren die Grenze des klassischen harmonischen Oszillators bei dem Energieeigenwert der Wellenfunktion.

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pict

Wahrscheinlichkeitsdichten. Die durchgezogene Linie ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des harmonischen Oszillators für 𝜖5 = 11-
2 oder E5 = 11
2ω.

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Bei Abbildung 5.10.3 ist schon andeutungsweise zu sehen, dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Rande des Klassischen harmonischen Oszillators steigt.

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pict

Wahrscheinlichkeitsdichten. Die durchgezogene Linie ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des harmonischen Oszillators für 𝜖12 = 25
 2 oder E12 = 25-
2ω.

_____________________________________________________________________

Bei den Abbildungen 5.10.3 und 5.10.3 wird mit zunehmender Quantenzahl oder zunehmendem Energiniveau die Ähnlichkeit mit der klassischen Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung immer grösser.

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Wahrscheinlichkeitsdichten. Die durchgezogene Linie ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte des harmonischen Oszillators für 𝜖25 = 51
 2 oder E12 = 51-
2ω.

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Die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsdichte liegt periodisch über und unter der klassischen Dischte. Je grösser n wird, desto mehr Oszillationen gibt es und desto besser würde eine räumliche Mittelung der quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitsdichte die klassische Wahrscheinlichkeitsdichte approximieren. Aber egal wie hoch die Quantenzahl n ist, der exponentielle Abfall wird immer da sein. Seine Breite wird mit zunehmender Quantenzahl n relativ kleiner. Ein verwandtes Phänomen ist das Gibbs’sche Phänomen (Überschwingen) bei Rechteckpulsen. Da die reale Fourierreihe immer endlich ist, bleibt das überschwingen.

Je höher bei quantenmechanischen Systemen die Energiequantenzahl n ist, desto besser wird das klassische System approximiert.

Ein bekanntes Beispiel für quasi-klassisches Verhalten sind die Rydbergzustände in Atomen.



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