Unterabschnitte


Wellen in einer Dimension

Im vorherigen Kapitel wurde die Lösung der Schwingungsgleichung für eine grosse Zahl gekoppelter Pendel betrachtet. Wenn bei einem solchen System ein äusseres Pendel ausgelenkt wird, breitet sich die Störung zum anderen Ende aus. Erst wenn dieser Einschwingvorgang abgeklungen ist, erhalten wir die mit den Gleichungen aus dem vorherigen Kapitel berechneten Lösungen. Die sich ausbreitende Störung im Pendelsystem nennen wir eine Welle.

Wellen können sich in Medien (Schallwellen, Seilwellen) oder auch ohne Medien (Licht, elektromagnetische Wellen) ausbreiten. Sie können sich im Raum ausbreiten, also in drei Dimensionen, auf Platten, in zwei Dimensionen oder in Seilen oder Glasfaserkabeln in einer Dimension. Wir betrachten den einfachen Fall einer Welle in einer Dimension.

Dieser Stoff wurde am 03. 05. 2007 behandelt

\includegraphics[height=8mm]{icon-mat} Materialien

Folien zur Vorlesung am 03. 05. 2007 PDF

Übungsblatt 04 ausgegeben am 03. 05. 2007

Lösungsblatt 04 ausgegeben am 03. 05. 2007

Wellenberge

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 424])





\includegraphics[width=0.8\textwidth]{seilwelle-reflexion}
Reflexion einer Seilwelle wenn das Ende an der Wand eingespannt ist




\includegraphics[height=10mm]{icon-exp} Versuch zur Vorlesung: Seilwellen (Versuchskarte SW-043)

Wir sahen, dass bei einer Schwingung die Anfangsbedingung zweiteilig war. Der Ort und die Geschwindigkeit mussten vorgegeben werden. Genauso ist die Randbedingung einer Seilwelle durch eine von zwei Grössen charakterisiert, dem Ort und der Geschwindigkeit (erste Ableitung) oder eine höhere Ableitung. Wenn das Seil fest eingespannt ist, wie in der obigen Abbildung, ist der Ort fest und die zweite Ableitung (siehe auch den einseitig eingespannten Balken) frei. Der Wellenberg wechselt sein Vorzeichen bei der Reflexion: wir sprechen von einem Phasensprung.





\includegraphics[width=0.8\textwidth]{seilwelle-reflexion-lose}
Reflexion einer Seilwelle wenn das Ende lose befestigt ist.




Wenn das Seilende lose ist, ist der Ort frei, aber die Geschwindigkeit stellt sich der Anregung entsprechend ein. Hier hat die Amplitude der reflektierten Seilwelle die gleiche Phase, es gibt keinen Phasensprung.

Analoge Effekte treten bei elektromagnetischen Wellen auf. je nach Randbedingung tritt bei der Reflexion ein Phasensprung von $ \pi$ auf.

Transversal- und Longitudinalwellen

$ _{}$

Die hier betrachteten Seilwellen sind Transversalwellen oder Querwellen, da die Anregung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung ist. Licht und Seilwellen gehören zu den Transversalwellen. Bei Longitudinalwellen oder Längswellen geht die Auslenkung der Teilchen in die Richtung der Ausbreitung. Das bekannteste Beispiel einer Longitudinalwelle ist die Druckwelle bei einer Schallwelle.





\includegraphics[width=0.8\textwidth]{Wellen-Wasserwelle}
Wasserwelle




Mischformen von transversal- und Longitudinalwellen existieren, so zum Beispiel die oben dargestellte Wasserwelle. Ein einzelnes Wasserteilchen bewegt sich kreisförmig (eine Folge der Energieerhaltung). Dabei ist die Geschwindigkeit der Teilchen am Wellenkamm nach rechts gerichtet, wenn die Welle sich nach links ausbreitet1.

Reflexion und Überlagerung oder Superposition

$ _{}$

Wenn zwei Wellenberge mit entgegengesetzter Ausbreitungsrichtung sich treffen, dann addieren sich bei einem linearen System die Amplituden.

Eine Störung auf einem Seil wird nicht nur am Ende reflektiert, sondern auch, wenn die Eigenschaften des Seils sich ändern. Wenn ein Seil ab einer bestimmten Stelle weniger steif ist, ist ab der Stelle auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Störung anders. Ein Teil (im Gegensatz zur Reflexion am Ende) der Welle wird reflektiert. Dies ist analog zur Teilreflexion von Licht beim Übergang von einem Medium in das nächste.

Wir beobachten, dass die Form eines Wellenberges sich nicht ändert. Im bewegten Bezugssystem $ x^*,y^*$ ist sie durch $ y^*=y(x^*)$ gegeben. Nun bewegt sich das Maximum mit der Geschwindigkeit $ v$. Wir können die Gleichungen der Galilei-Transformation hinschreiben

$\displaystyle y$ $\displaystyle =$ $\displaystyle y^*$  
$\displaystyle x$ $\displaystyle =$ $\displaystyle x^*+vt$ (2.118)

Deshalb kann man die Form des Seiles auch mit

$\displaystyle y = y(x-vt)$ (2.119)

schreiben. Bewegt sich das Maximum nach links, lautet die Gleichung

$\displaystyle y=y(x+vt)$ (2.120)

Das Überlagerungsprinzip können sie mit einer Simulation austesten.





\includegraphics[width=0.5\textwidth]{welle_ueberlagerung1}
Überlagerung zweier Wellen mit unterschiedlichen Amplituden und gleichem Vorzeichen. Die Zeit nimmt von oben nach unten zu.




Wenn wie in der obigen Zeichnung die beiden Wellen den Gleichungen $ y=y_1(x-vt)$ und $ y=y_2(x+vt)$ genügen, ist die resultierende Wellenfunktion

$\displaystyle y = y_1(x-vt)+y_2(x+vt)$ (2.121)





\includegraphics[width=0.5\textwidth]{welle_ueberlagerung2}
Überlagerung zweier Wellen mit gleichen Amplituden und unterschiedlichem Vorzeichen. Die Zeit nimmt von oben nach unten zu




Haben die beiden Wellenberge unterschiedliche Vorzeichen, so können sie sich zu gewissen Zeiten teilweise oder, bei gleicher Amplitude, vollständig auslöschen. Obwohl in der Mitte nichts mehr von den Wellenbergen zu sehen ist, ist die Information über ihre Form und Geschwindigkeit in der kinetischen Energie der Seilstücke gespeichert.





\includegraphics[width=0.5\textwidth]{welle_ueberlagerung}
Überlagerung zweier sinusförmiger Wellenberge mit unterschiedlichen Amplituden und gleichem Vorzeichen.




Das Überlagerungsprinzip gilt auch für Wellen mit beliebiger Form, hier als Sinuswelle dargestellt. Bei grossen Amplituden, also dann wenn das betrachtete System nicht mehr linear ist, gilt das Überlagerungs- oder Superpositionsprinzip nicht.

Ausbreitungsgeschwindigkeit

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 429])





\includegraphics[width=0.6\textwidth]{wellen-gleichung}
Kräfteverhältnisse an einem Wellenberg in einem sich mit dem Wellenberg sich fortbewegenden Koordinatensystem.




Um die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Störung auf einem Seil zu berechnen, betrachten wir die Situation im Ruhesystem der Störung. In diesem System (das nicht das Laborsystem ist) bewegt sich im Maximum das Seil mit der Geschwindigkeit $ v$ auf einer Kreisbahn mit dem Radius $ r$. Die Geometrie verlangt also, dass eine physikalische Beschleunigung der Grösse

$\displaystyle a_z = \frac{v^2}{r}$ (2.122)

existiert. Ursache dieser Beschleunigung des durchlaufenden Massenelementes $ m
= s \mu$ sind die um den Winkel $ \Theta$ in verschiedene Richtungen zeigenden Seilspannkräfte am Ende des Kreisbogens mit der Länge $ s = r\Theta$. $ \mu$ ist die Masse pro Länge des Seils.

Das Kräftegleichgewicht in radialer Richtung (nach unten) ist

$\displaystyle F_r = 2 F \sin\left(\frac{\Theta}{2}\right) \approx 2 F \left(\frac{\Theta}{2}\right)= F \Theta$ (2.123)

Aus dieser Kraft kann die senkrecht zur Seilrichtung wirkende Beschleunigung $ a
= a_z$ berechnet werden. Dazu brauchen wir die Masse des Seilsegmentes

$\displaystyle m = \mu \; s = \mu r \Theta = \rho A \; s = \rho A r \Theta$ (2.124)

Wir setzten nun die physikalisch durch die Seilspannung bedingte Beschleunigung $ a$ gleich der aus der Geometrie im Ruhesystem der Störung (mitbewegtes Koordinatensystem) gefundenen Zentripetalbeschleunigung gleich

$\displaystyle \frac{v^2}{r} = \frac{F\Theta}{m} =\frac{F\Theta}{\mu r \Theta} = \frac{F}{\mu r } =\frac{F}{\rho A r}$ (2.125)

Wir verwenden die Seilspannung $ \sigma = F/A$und lösen die Gleichung nach $ v$ auf.

$\displaystyle v = \sqrt{\frac{F}{\mu}} = \sqrt{\frac{\sigma}{\rho}}$ (2.126)

Dies ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Störung auf einem Seil oder auf einer Saite.

Da in dieser Gleichung für $ v$ keine koordinatenabhängigen Grössen vorhanden sind, gilt sie auch für das Laborsystem des Seils.

Ein Seil mit einer Massenbelegung von $ \mu = 0.02 kg/m$ und einer Seilspannkraft $ F=30 N$ ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit $ v = \sqrt{\frac{30 N}{0.02 kg/m}} = 38,7 m$.

Harmonische Wellen

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 431])





\includegraphics[width=0.5\textwidth]{wellen-schnappschuss}
Der Schnappschuss einer Welle mit der Wellenlänge $ \lambda$.




In der Periodendauer $ T$ bewegt sich die Welle um eine Wellenlänge $ \lambda$ vorwärts. Wenn wir die Frequenz $ \nu = 1/T$ einführen erhalten wir

$\displaystyle v = \frac{\lambda}{T} = \nu\lambda$ (2.127)

Wenn die Auslenkung sinusförmig ist, ist die Form der Welle zu einer bestimmten Zeit $ t_0$ durch

$\displaystyle y(x) = A\sin(kx)$ (2.128)

beschrieben. $ A$ ist die Amplitude und $ k=\frac{2\pi}{\lambda}$ die Wellenzahl, oder wenn damit auch die Ausbreitungsrichtung bezeichnet wird, den Wellenvektor. Die Grösse von $ k$ kann mit der folgenden Überlegung berechnet werden: Die Sinusfunktion ist mit $ 2\pi$ periodisch. Sie wiederholt sich aber auch mit jedem Vielfachen der Wellenlänge $ \lambda$. Also ist

$\displaystyle k(x_1+\lambda) = kx_1 + 2\pi$ (2.129)

und daraus

$\displaystyle k\lambda = 2\pi \hspace{1cm} \Rightarrow \hspace{1cm} k = \frac{2\pi}{\lambda}$ (2.130)

Analog zu der Beschreibung der Wellenberge bemerken wir, dass die Welle sich mit der Geschwindigkeit $ v$ nach rechts bewegt. Wir transformieren also $ x \rightarrow x-vt$.

$\displaystyle y(x,t) = A\sin\left(k(x-vt)\right) =A\sin\left(kx -kvt\right)$ (2.131)

Wenn wir $ \omega = kv$ (Kreisfrequenz) setzen erhalten wir das Schlussresultat

$\displaystyle y(x,t)=A\sin\left(kx-\omega t\right)$ (2.132)

Die Wellengleichung

Wie schon früher berechnet, ist $ \omega = 2\pi\nu = \frac{2\pi}{T}$. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit ist

$\displaystyle v = \frac{\omega}{k}$ (2.133)

Die Wellengleichung kann auch

$\displaystyle y(x,t) = A\sin\left[2\pi\left(\frac{x}{\lambda}-\frac{t}{T}\right)\right]$ (2.134)

Energieübertrag bei Wellen

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 434])

Wenn wir ein kurzes Segment der Länge $ \Delta x$ einer schwingenden Welle betrachten, dann führt dieses eine harmonische Schwingung aus. Wenn die Wellengleichung $ y(x,t) = A\sin(k x -\omega t)$ ist, dann ist die Geschwindigkeit $ v(x,t) = \dot{y}(x,t) = -A\omega\cos(k x -\omega t)$. Damit ist die kinetische Energie des Seilsegments beim Nulldurchgang und damit auch die Gesamtenergie

$\displaystyle \Delta E = \frac{1}{2}\Delta m v^2 = \frac{1}{2} \Delta m A^2\omega^2 = \frac{1}{2} A^2\omega^2\mu \Delta x$ (2.135)

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle sei $ v = \Delta x /\Delta t$. Umgeformt $ \Delta x = v \Delta t$ und eingesetzt bekommen wir

$\displaystyle \Delta E = \frac{1}{2} A^2\omega^2\mu v\delta t$ (2.136)

Wir dividieren durch $ \Delta t$ und bekommen die durch die Welle transportierte Energie pro Zeiteinheit, also die Leistung2

$\displaystyle P = \frac{\Delta E}{\Delta t} = \frac{1}{2} \mu A^2\omega^2 v$ (2.137)


Superposition und Interferenz harmonischer Wellen

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 435]) (Siehe Gerthsen, Physik [Mes04, pp. 513])

Analog zu Schwingungen, deren Kombination oder Überlagerung neue Bewegungsformen ergibt, können auch Wellen überlagert werden. Dies kann sehr schön an den Wasserwellen hinter einer Hafeneinfahrt beobachtet werden.





\includegraphics[width=0.6\textwidth]{welle_interferenz}
Interferenz zweier Wellen mit der gleichen Amplitude und der gleichen Frequenz und einer Phase, die von $ 0\ldots2\pi$ variiert.




Mathematisch setzen wir zwei Wellen an

$\displaystyle y_1(x,t)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle A\sin\left(kx-\omega t\right)$  
$\displaystyle y_2(x,t)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle A\sin\left(kx-\omega t+\delta\right)$ (2.138)

An einem bestimmten Ort ist die Differenz der Phasen durch

$\displaystyle (kx-\omega t_1)-(kx -\omega t_2 +\delta) = \omega(t_1 - t_2) -\delta = \omega\Delta t - \delta$ (2.139)

gegeben und unabhängig vom Ort. Zu einer bestimmten Zeit ist die Differenz der Phasen durch

$\displaystyle (kx_1-\omega t)-(kx_2 -\omega t +\delta) = k(x_1-x_2)-\delta =k\Delta x -\delta$ (2.140)

gegeben, unabhängig von der Zeit.

Wir wenden die Additionstheoreme für die Winkelfunktionen an. Wir verwenden

$\displaystyle \sin(\alpha)+\sin(\beta) = 2 \cos\left(\frac{\alpha-\beta}{2}\right)\sin\left(\frac{\alpha+\beta}{2}\right)$ (2.141)

und erhalten
$\displaystyle y(x,t)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle y_1(x,t)+y_2(x,t)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle A\sin\left(kx-\omega t\right)+A\sin\left(kx-\omega t+\delta\right)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle 2A\cos\left(\frac{\delta}{2}\right)\sin\left(kx-\omega t+\frac{\delta}{2}\right)$  

Aus dieser Gleichung kann die folgende Tabelle abgeleitet werden.



Phase resultierende Amplitude Interferenz
0 $ 2A$ konstruktive
$ \pi/2$ $ \sqrt{2} A$  
$ \pi$ 0 destruktiv
$ 3\pi/2$ $ \sqrt{2} A$  
$ 2\pi$ $ 2A$ konstruktiv
Interferenz und Phase


Stehende Wellen

$ _{}$

(Siehe Tipler, Physik [Tip94, pp. 435]) (Siehe Gerthsen, Physik [Mes04, pp. 513])

Wenn wir eine nach links laufende Welle $ y_1(x,t) = A \sin(kx +\omega t)$ und eine nach rechts laufende Welle $ y_2 = A\sin(kx -\omega t +\delta)$ zur Interferenz kommen lassen, erhalten wir

$\displaystyle y(x,t)$ $\displaystyle =$ $\displaystyle y_1(x,t)+y_2(x,t)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle A \sin(kx +\omega t)+ A\sin(kx -\omega t +\delta)$  
  $\displaystyle =$ $\displaystyle 2A\cos\left(\omega t-\frac{\delta}{2}\right)\sin\left(kx +\frac{\delta}{2}\right)$ (2.142)

Die Summe der beiden Wellenfunktionen ist das Produkt zweier Terme Damit bilden sich räumlich stehende Knotenlinien aus, wir haben eine stehende Welle.

Wenn die Amplituden der beiden Wellen nicht gleich gross ist, dann interferieren von der Welle mit der grösseren Amplitude nur die Amplitudenteile, die gleich gross wie die Amplitude der schwächeren Welle sind.

Stehende Wellen als Resultat zweier gegenlaufender Wellen gibt es in jedem Resonator, insbesondere in Laserresonatoren.

Othmar Marti
Experimentelle Physik
Universiät Ulm