Unterabschnitte

Die magnetische Kraft

(Siehe Tipler, Physik [TM04, pp. 812]) (Siehe Leisi, Klassische Physik II [Lei98, pp. 91])

Um die Magnetische Kraft zu berechnen gehen wir in zwei Schritten vor:

  1. Wir zeigen, dass elektrostatische Gesetze auch in bewegten Bezugssystemen gelten.
  2. Wir berechnen mit den Gesetzen der Relativitätstheorie die magnetische Kraft.

Ladungsinvarianz bewegter Bezugssysteme

(Siehe Leisi, Klassische Physik II [Lei98, pp. 91])





\includegraphics[width=0.6\textwidth]{strom-003}
Metallischer Gastank mit Ausströmöffnung.




Mit zwei Gedankenexperimenten soll geklärt werden, ob die Ladung von der Geschwindigkeit abhängt. Zuerst schliessen wir eine grosse Menge $ H_2$-Gas in den metallischen Tank ein, entladen ihn, und lassen das Gas ausströmen. Die Ladung des leeren Tanks ist unmessbar klein. Daraus schliesst man:

$\displaystyle q_{Elektron} = - q_{Proton}$ (3.209)

mit einer Genauigkeit von $ \vert q_{Elektron}\vert/N = 10^{-20}q_{Elektron}$.

Dies folgt aus dem Gaussschen Gesetz Gleichung (2.14)

$\displaystyle \int\!\!\!\int\limits_{A} \vec{E}\cdot d\vec{a}= 0\pm a\vert q_{Elektron}\vert = \frac{1}{\epsilon_0}\left[NQ(H_2)+q\right]$ (3.210)

wobei $ q$ eine eventuell vor dem Ausströmen vorhandene Ladung, $ Q(H_2)$ die Ladung eines Wasserstoffmoleküls und $ N$ die Anzahl der eingeschlossenen Wasserstoffmoleküle ist. $ a$ ist die Ungenauigkeit der Ladungsmessung. Aus der Tatsache, dass der Metallbehälter nach dem Ausströmen im Rahmen der Messgenauigkeit ungeladen ist, folgt, dass das $ H_2$-Molekül ungeladen ist.

Der Versuch wird mit $ He$-Gas wiederholt. Das Resultat ist das gleiche. Nun bewegen sich aber die zwei Protonen im $ He$-Atom mit sehr grosser Geschwindigkeit. Das bedeutet, dass die Ladung des Protons unabhängig von der Geschwindigkeit ist. Die Ladung muss insbesondere in jedem Inertialsystem gleich sein. Wir betrachten zwei Inertialsysteme $ S$ und $ S'$9

$\displaystyle \int\!\!\!\int\limits_{A(t)} \vec{E}\cdot d\vec{a}= \int\!\!\!\int\limits_{A'(t)} \vec{E}' \cdot d\vec{a}'$ (3.211)

Diese Gleichung drückt die relativistische Ladungsinvarianz aus. Die Ladungsinvarianz ist nicht gleich der Ladungserhaltung. So ist zum Beispiel die Energie erhalten, zwischen zwei Inertialsystemen aber nicht invariant ( $ m_0 c^2 \neq m(v)c^2$).

Relativistische Berechnung

(Siehe Leisi, Klassische Physik II [Lei98, pp. 94])





\includegraphics[width=0.465\textwidth]{strom-004} \includegraphics[width=0.465\textwidth]{strom-005}
Berechnung der magnetischen Kraft. Links: im Bezugssystem $ S$ und rechts:im Bezugssystem $ S'$, in dem $ q$ in Ruhe ist. Beachte: wir wissen zwar nicht, wie gross der Strom $ I$ gemessen im Bezugssystem $ S$ im Bezugssystem $ S'$ ist. Die Ladung ist jedoch invariant.




Den Strom $ I$ modellieren wir mit zwei Ketten aus Ladungsträgern, je eine positiv und negativ geladen. Ihre Linienladungsdichten $ \lambda$ sollen so sein, dass die beiden Ketten neutral sind. Im Ruhesystem $ S^+$ der positiven Ladungen ist

$\displaystyle \lambda_0 = \frac{Q}{L_0}$ (3.212)

Im Inertialsystem $ S$ ist wegen der Ladungsinvarianz

$\displaystyle \lambda = \frac{Q}{L}$ (3.213)

Wegen der Längenkontraktion gilt

$\displaystyle L = \frac{L_0}{\gamma_0} = L_0\sqrt{1-\frac{v_0^2}{c^2}}$ (3.214)

Zusammengenommen erhalten wir

$\displaystyle \lambda_0 = \frac{\lambda}{\gamma_0}$ (3.215)

Die gleiche Beziehung kann für die negativen Ladungen abgeleitet werden. Das heisst, wenn in $ S$ die Linienladungsdichten der positiven und negativen Ladungen gleich sind, dann auch in den jeweiligen Ruhesystemen. In den Ruhesystemen ist die Linienladungsdichte geringer als in bewegten Bezugssystemen. Da die beiden bewegten Ladungsketten die gleiche Linienladungsdichte im System $ S$ haben, ist $ \vec{E}=0$.

Im Ruhesystem $ S'$, in dem das Teilchen mit der Ladung $ q$ in Ruhe ist, sieht die Situation anders aus. Die Geschwindigkeit der positiven und der negativen Ladungsketten ist unterschiedlich. deshalb sind sie zusammen nicht mehr elektrisch neutral. Auf die Ladung $ q$ wirkt eine elektrostatische Kraft. Da die Relativgeschwindigkeit der positiven Ladungen zu $ q$ kleiner ist als die der negativen Ladungen, liegen in $ S'$ die positiven Ladungen weniger dicht als die negativen10. Die beiden Ladungsketten sind insgesamt negativ geladen. Deshalb wird $ q$ angezogen, wenn $ q>0$ ist. Das $ \vec{E}'$-Feld in die $ z'$-Richtung erzeugt in $ S'$ die Kraft

$\displaystyle F_z'= q\cdot E'$ (3.216)

Das $ \vec{E}$-Feld hängt vom Bezugssystem ab, ist also nicht relativistisch invariant!

Das elektrische Feld einer Linienladung im Abstand $ r$ ist

$\displaystyle E(r) = \frac{\lambda}{2\pi\epsilon_0\cdot r}$ (3.217)

Um das elektrische Feld $ \vec{E}'$ berechnen wir die Geschwindigkeiten $ v_+'$ und $ v_-'$ in $ S'$.
$\displaystyle v_+'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{v-v_0}{1-\frac{v\cdot v_0}{c^2}}$  
$\displaystyle v_-'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{v+v_0}{1+\frac{v\cdot v_0}{c^2}}$ (3.218)

Mit den üblichen Abkürzungen
$\displaystyle \beta$ $\displaystyle \equiv$ $\displaystyle \frac{v}{c}$ (3.219)
$\displaystyle \gamma$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{1-\beta^2}}$  

bekommen wir
$\displaystyle \beta_+'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{\beta_0-\beta}{1-\beta_0\beta}$ (3.220)
$\displaystyle \beta_-'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{\beta_0+\beta}{1+\beta_0\beta}$  

Mit $ \gamma_+' \equiv \gamma(v_+')$ und $ \gamma_-' \equiv \gamma(v_-')$ und mit $ \lambda_0 =
\lambda_+'/\gamma_+'$ erhalten wir
$\displaystyle \lambda_+'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma_+'\left(\frac{\lambda}{\gamma_0}\right)$ (3.221)
$\displaystyle \lambda_-'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma_-'\left(\frac{\lambda}{\gamma_0}\right)$  

Die Netto-Linienladung in $ S'$ ist dann

$\displaystyle \lambda' = \lambda_+'-\lambda_-' = \frac{\lambda}{\gamma_0}\left(\gamma_+'-\gamma_-'\right)$ (3.222)

Weiter erhalten wir
$\displaystyle \gamma_+'-\gamma_-'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{1-\beta_+^2}}- \frac{1}{\sqrt{1-\beta_-^2}}$ (3.223)
$\displaystyle $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1}{\sqrt{1-\left(\frac{\beta_0-\beta}{1-\beta_0\beta}\right)^2}}-
\frac{1}{\sqrt{1-\left(\frac{\beta_0+\beta}{1+\beta_0\beta}\right)^2}}$  
$\displaystyle $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{1-\beta_0\beta}{\sqrt{\left(1-\beta_0^2\right)\left(1-\beta...
... -
\frac{1+\beta_0\beta}{\sqrt{\left(1-\beta_0^2\right)\left(1-\beta^2\right)}}$  
$\displaystyle $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{-2\beta_0\beta}{\sqrt{\left(1-\beta_0^2\right)\left(1-\beta^2\right)}}$  
$\displaystyle $ $\displaystyle =$ $\displaystyle -2\beta_0\beta\gamma_0\gamma$  

Also ist

$\displaystyle \lambda' = -2 \lambda \beta \beta_0 \gamma = \frac{-2\lambda v v_0}{c^2} \gamma$ (3.224)

Betrachten wir am Ort der Ladung $ q$ das von der Linienladung $ \lambda'$ hervorgerufene Feld $ E_r'$. Für positives $ \lambda'$ zeigt dieses in die $ -z'$-Richtung. Also ist das elektrische Feld
$\displaystyle E_r'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle -\frac{\lambda'}{2\pi\epsilon_0 r}$ (3.225)
$\displaystyle $ $\displaystyle =$ $\displaystyle \frac{2 \lambda v_0 v \gamma(v)}{2\pi\epsilon_0 c^2} \cdot \frac{1}{r}$  

Die Kraft im Ruhesystem $ S'$ des Teilchens ist also

$\displaystyle F_z' = q\cdot E_r' = \frac{2 q \lambda v_0 v \gamma(v)}{2\pi\epsilon_0 c^2} \cdot \frac{1}{r}$ (3.226)

Wir verwenden die Lorentztransformation der Impulse
$\displaystyle p_x'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle p_x$ (3.227)
$\displaystyle p_y'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma(v)\left(p_y-v\frac{E}{c^2}\right)$  
$\displaystyle p_z'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle p_z$  
$\displaystyle E'$ $\displaystyle =$ $\displaystyle \gamma(v)\left(E-v\cdot p_y\right)$  

Der Vierervektor $ (p_x,p_y,p_z, \frac{E}{c^2})$ transformiert sich wie der Vierervektor $ (x,y,z,t)$. Die Kraft transformiert sich also wie

$\displaystyle F_z' = \frac{dp_z'}{dt'}=\frac{dp_z}{\sqrt{1-\beta^2}\cdot dt} = \gamma(v)F_z$ (3.228)

Der Strom in $ S$ ist

$\displaystyle I = 2 \lambda v_0$ (3.229)

Damit bekommen wir

$\displaystyle F_z(r) = \frac{q \cdot v \cdot I}{2\pi\epsilon_0 \cdot c^2}\cdot \frac{1}{r}$ (3.230)

Multipliziert man Gleichung (3.96) mit der Dichte der Ladungsträger $ n$, so erhält man die zu $ I_2$ proportionale Kraft.

$\displaystyle F(r) = n\cdot F_z(r) = \frac{n\cdot q \cdot v \cdot I}{2\pi\epsil...
...cdot \frac{1}{r}= \frac{I_2 \cdot I}{2\pi\epsilon_0 \cdot c^2}\cdot \frac{1}{r}$ (3.231)

Die magnetische Kraft $ F_m$ im Laborsystem $ S$ ist die relativistisch transformierte elektrostatische Kraft auf die Ladung $ q$ in deren Ruhesystem $ S'$. Die magnetische Kraft kann als relativistische Korrektur zur elektrostatischen Kraft verstanden werden.

Othmar Marti
Experimentelle Physik
Universiät Ulm