Unterabschnitte

Chemische Reaktionen

Dieser Stoff wurde am 19. 07. 2007 behandelt

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Folien zur Vorlesung am 19. 07. 2007 PDF



Beispiel:


Die Knallgasreaktion wird so beschrieben

$\displaystyle 2H_{2}+O_{2}\leftrightarrow 2H_{2}O$    

Dabei ist die nach rechts laufende Reaktion viel wahrscheinlicher als die Umkehrreaktion. Die Standardform dieser chemischen Reaktion ist

$\displaystyle 2H_{2}+O_{2}-2H_{2}O=0$    

Allgemein werden chemische Reaktionen durch Gleichungen des Typs

$\displaystyle \sum\limits_{i=1}^{m}b_{i}B_{i}=0$ (4.679)

beschrieben, wobei $ B_{i}$ der Molekültyp und $ b_{i}$ die Gewichtskonstante für diese Reaktion ist. Die Teilchenzahl und die Gewichtskonstante sind voneinander abhängig

$\displaystyle dN_{i}=\lambda b_{i}$ (4.680)

wobei $ \lambda$ eine Proportionsalitätskonstante ist.


Beispiel:


Für die Knallgasreaktion gilt die Relation:
$ dN_{H_{2}O}:dN_{H_{2}}:dN_{O_{2}}=2:-2:-1$.

Wie immer muss die Entropie $ S=S\left( U\text{,} V\text{,} N_{1}\ldots N_{m}\right)$ maximal werden. Das heisst: $ dS=0$. Wir nehmen adiabatisch isochore Bedingungen an. Dann müssen $ U$ und $ V$ konstant sein. Damit gilt für die Teilchenzahlen

$\displaystyle \sum\limits_{i=1}^{m}\mu_{i}dN_{i}=0$ (4.681)

Mit Gleichung (4.408) erhalten wir

$\displaystyle \sum\limits_{i=1}^{m}b_{i}\mu_{i}=0$ (4.682)

Wir betrachten die chemische Reaktion als Mischung. Die Mischungsentropie ist

$\displaystyle S_{M}=-k\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\ln\frac{N_{i}}{\sum_{i=1}^m N_{i}}=-k\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\ln\frac{N_{i}}{N}>0$ (4.683)

Dabei sind die $ N_{i}$ die Anzahl der beteiligten Moleküle der verschiedenen Spezies und $ N=\sum_{i=1}^m N_{i}$ die Gesamtzahl der Teilchen. Bei isobar-isothermen Reaktionsbedingungen gilt für die freie Enthalpie

$\displaystyle G=\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\mu_{i}-TS_{M}=\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\mu _{i}+kT\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\ln\frac{N_{i}}{N}$ (4.684)

Das Gleichgewicht des Systems ist durch das Minimum von $ G$ gegeben. Durch den Term der Mischungsentropie wird keine chemische Reaktion vollständig ablaufen. Beim Knallgas zum Beispiel liegt das Gleichgewicht sehr weit bei $ H_2O$. Trotzdem verbleiben nicht reagierte Wasserstoff- und Sauerstoffmoleküle.

Zur Berechnung des Gleichgewichtes verwenden wir

$\displaystyle dG$ $\displaystyle = \sum\limits_{i=1}^m \left(\frac{\partial G}{\partial N_i}\right) dN_i$ (4.685)

Eine Komponente $ x_i = \left(\frac{\partial G}{\partial N_i}\right)$ ist dann (wobei $ N = \sum\limits_{i=1}^m N_i$ ist)

$\displaystyle x_i$ $\displaystyle = \left(\frac{\partial G}{\partial N_i}\right)$    
  $\displaystyle = \frac{\partial }{\partial N_i}\left(\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\mu _{i}+kT\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\ln\frac{N_{i}}{N}\right)$    
  $\displaystyle = \frac{\partial }{\partial N_i}\left(\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\...
...- kT\sum\limits_{i=1}^{m}N_{i}\ln\left(\sum\limits_{i=1}^m{N_{i}}\right)\right)$    
  $\displaystyle = \mu_i +kT \ln N_i + kT N_i \frac{1}{N_i}- kT \ln\left(\sum\limi...
...N_{i}}\right) - kT \sum\limits_{j=1}^m N_j \frac{1}{\sum\limits_{i=1}^m{N_{i}}}$    
  $\displaystyle = \mu_i +kT \ln N_i + kT - kT \ln N - kT \sum\limits_{j=1}^m \frac{N_j}{N}$    

In jedem Summanden, ausser dem letzten, bleibt nur der Term mit $ N_i$ nach dem Ableiten übrig. Im letzten Summanden kann man für beliebige $ N_j$ nach $ N_i$ ableiten, da $ N_i$ im Logarithmus vorkommt. Damit wird

$\displaystyle dG$ $\displaystyle = \sum\limits_{i=1}^m \left(\frac{\partial G}{\partial N_i}\right) dN_i$    
  $\displaystyle = \sum\limits_{i=1}^m \left(\mu_i +kT \ln N_i + kT - kT \ln N - kT \sum\limits_{j=1}^m \frac{N_j}{N}\right) dN_i$    
  $\displaystyle = \sum\limits_{i=1}^m \left(\mu_i +kT \ln N_i + kT - kT \ln N - kT \frac{N}{N}\right) dN_i$    
  $\displaystyle = \sum\limits_{i=1}^m \left(\mu_i +kT \ln N_i - kT \ln N \right) dN_i$ (4.686)

mit

$\displaystyle d N_{i}=b_{i}\lambda$ (4.687)

erhalten wir

$\displaystyle d G=\left(\sum\limits_{i=1}^m \mu_i b_i +kT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln N_i - kT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln N \right) \lambda$ (4.688)

Da $ d G=0$ im Gleichgewicht ist, erhalten wir für $ \lambda \neq 0$

$\displaystyle \sum\limits_{i=1}^m \mu_i b_i +kT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln N_i - kT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln N$ $\displaystyle =0$    
$\displaystyle -\sum\limits_{i=1}^m\mu_{i}b_{i}+kT\sum\limits_{i=1}^m b_{i}\ln\left(\sum\limits_{i=1}^m N_{i}\right)$ $\displaystyle =kT\sum\limits_{i=1}^m b_{i}\ln N_{i}$    
$\displaystyle \left( \sum\limits_{i=1}^m N_{i}\right) ^{\sum_{i=1}^m b_{i}}\exp\left( - \frac{\sum\limits_{i=1}^m\mu_{i}b_{i} }{kT}\right)$ $\displaystyle =\prod\limits_{i=1}^{m}N_{i}^{b_i}$ (4.689)

Das Massenwirkungsgesetz lautet

$\displaystyle \left( \sum\limits_{i=1}^m N_{i}\right) ^{\sum_{i=1}^m b_{i}}\exp...
...\sum\limits_{i=1}^m\mu_{i}b_{i} }{kT}\right) =\prod\limits_{i=1}^{m}N_{i}^{b_i}$ (4.690)

Bei abgeschlossenen Systemen ist die Grösse

$\displaystyle K^{-1}=\left( \sum\limits_{i=1}^m N_{i}\right) ^{+\sum\limits_{i=...
...m\mu_{i} b_{i}}{kT}\right) =K^{-1}\left(
T\text{,} p\right) = \text{konstant}
$    

konstant. $ K$ heisst die Massenwirkungskonstante. Sie ist

$\displaystyle K = \left( \sum\limits_{i=1}^m N_{i}\right) ^{-\sum\limits_{i=1}^m b_{i}}\exp\left( \frac{\sum\mu_{i} b_{i}}{kT}\right)$ (4.691)


Beispiel:


Für die Knallgsreaktion gilt $ -2H_{2}-O_{2}+2H_{2}O=0$ wobei $ \sum b_{i}=1$. Daraus folgt

$\displaystyle \left( N_{O_{2}}+N_{H_{2}}+N_{H_{2}O}\right) \cdot\exp\left( -\fr...
...}}-2\mu_{ H_{2}{O}}}{kT}\right) =\frac{N_{H_{2}}^{2}N_{O_{2}}}{N_{H_{2} O}^{2}}$ (4.692)

Nur wenn $ \sum b_{i}\neq0$ ist, ist das Reaktionsgleichgewicht unabhängig vom Druck. In allen anderen Fällen kann über den Druck $ p$ die Gleichgewichtslage der chemischen Reaktion eingestellt werden.

Reaktionsenthalpie

Wir können Gleichung (4.420) auch mit molaren Grössen schreiben

$\displaystyle \left( n_{O_{2}}+n_{H_{2}}+n_{H_{2}O}\right) \cdot\exp\left( -\fr...
...\hat{g}_{ H_{2}{O}}}{RT}\right) =\frac{n_{H_{2}}^{2}n_{O_{2}}}{n_{H_{2} O}^{2}}$ (4.693)

Wenn die molaren Enthalpien der Edukte (Ausgangsstoffe) gross gegen die molaren Enthalpien der Produkte sind, liegt das Gleichgewicht bei den Produkten.

Formulierung mit der Gleichgewichtskonstante $ K$

$\displaystyle K\left( T\right) =\frac{n_{H_{2}O}^{2}}{n_{H_{2}}^{2}n_{O_{2}}}=\...
...p\left( \frac{\hat{g}_{O_{2}}+2\hat{g}_{H_{2}}-2\hat{g}_{ H_{2}{O}}}{RT}\right)$ (4.694)

Wenn $ K$ gross ist,liegt das Gleichgewicht bei $ H_{2}O$.

Wenn $ K$ klein ist verschiebt sich das Gleichgewicht zu $ H_{2}$, $ O_{2}$

Aus den thermodynamischen Potentialen erhalten wir den Zusammenhang

$\displaystyle \Delta H-T\Delta S=\Delta G$ (4.695)

$ \Delta H$ ist die freiwerdende Reaktionsenthalpie, da die Entropieänderung nicht als Wärme messbar ist. Wir haben also

$\displaystyle \Delta G = \left(\sum\limits_{i=1}^m \hat{g}_i b_i +RT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln n_i - RT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln n \right)$ (4.696)

Diese Gleichung kann mit der Massenwirkungskonstante $ K$ umgeschrieben werden.

$\displaystyle \Delta G = RT\ln K + RT \sum\limits_{i=1}^m b_i \ln n_i$ (4.697)

Abhängig von den $ n_i$'s kann $ \Delta G$ positiv oder negativ sein. Der Standard-Wert für die freie Enthalpie pro mol wird üblicherweise mit

$\displaystyle \Delta G^0 = -RT\ln K$ (4.698)

bezeichnet. Wenn wir $ \Delta G$ mit den Enthalpien schreiben, bekommen wir

$\displaystyle K=\left( \sum N_{i}\right) ^{-\sum b_{i}}\exp\left( -\frac{\sum \hat{h}_{i}b_{i} }{kT}+\frac{\sum b_{i}\hat{s}_{i}}{R}\right)$ (4.699)

wobei $ \hat{h}_i$ die molare Enthalpie und $ \hat{s}_i$ die molare Entropie ist.

Man bekommt $ \Delta H = \sum \hat{h}_{i}b_{i}$, wenn man $ \ln K$ gegen $ \frac{1}{T}$ aufträgt (Arrhenius-Darstellung)





\includegraphics[width=0.6\textwidth]{thermodynamik-178}
$ \Delta H$ aus der Arrhenius-Darstellung




Zusammengefasst bedeutet dies

$\displaystyle \frac{\partial\ln K}{\partial T^{-1}}=\frac{\Delta H}{R}$ (4.700)

van't Hoff-Gleichung





\includegraphics[width=0.6\textwidth]{thermodynamik-179}
Reaktionskoordinaten




Chemische Reaktionen können mit Reaktionskoordinaten wie in der Abbildung 4.68 beschrieben werden. Die Ausgangssstoffe auf der linken Seite müssen dabei die Barriere $ \Delta G$ überwinden, um nach rechts reagieren zu können. Umgekehrt ist die Barriere $ \Delta G' <\Delta G$. Die Anzahl Teilchen, die die Barriere überwinden können ist proportional zu

$\displaystyle P($Reaktion links $ \rightarrow$ rechts$\displaystyle ) \propto e^{-\Delta G/(kT)}$    

oder

$\displaystyle P($Reaktion rechts $ \rightarrow$ links$\displaystyle ) \propto e^{-\Delta G'/(kT)}$    

Im Zwischenzustand bei der Reaktionsschwelle bilden sich temporäre Gebilde, die heute mit Femtosekunden-Spektroskopie ( $ \tau = 1\ldots 10 fs$) zeitaufgelöst untersucht werden können.

Othmar Marti
Experimentelle Physik
Universiät Ulm