©2001-2015 Ulm University, Othmar Marti, PIC
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2.22  Joule-Thomson-Effekt

PIC

Überströmversuch

Beim Überströmversuch nach Abbildung 2.22 mit einem idealen Gas bleibt die Temperatur erhalten, da U = U(T) ist. Erst wenn wir den Versuch mit einem realen Gas durchführen, erhalten wir eine Temperaturänderung.

Auch beim realen Gas bleibt die Gesamtenergie (ein abgeschlossenes System) erhalten.

U (T2,V2) = U (T1,V1 )
(2.1)

Bei einem realen Gas ziehen sich die Moleküle jedoch an. Beim Expandieren entfernen sie sich voneinander. Dadurch wird Energie benötigt, um sie der bei kleinen Distanzen negativeren potentiellen Energie zu höheren Werten zu bewegen. Diese Energie muss von der kinetischen Energie geliefert werden. Die Moleküle bewegen sich langsamer. Damit ist das Gas abgekühlt worden. Die Grösse der Abkühlung ist ein Mass für die Grösse der Anziehungskräfte.

Aus der van-der-Waals-Gleichung (2.13) folgt mit

       RT        a
p = -------- -  -2---
    Vmol - b    Vmol

dass

(    )
  ∂p-      = ----R---
  ∂T   V     Vmol - b
        mol
(2.2)

Andererseits betrachten wir den ersten Hauptsatz dU = TdS - pdV . Wir teilen durch dV und erhalten

(∂U  )      ( ∂S  )
 ----   = T   ----   - p
 ∂V   T       ∂V   T

Mit der Maxwellrelation

( ∂S  )    ( ∂p )
  ----   =   ---
  ∂V   T     ∂T   V

bekommen wir

(    )       (   )
 ∂U--   =  T  -∂p    - p
 ∂V   T       ∂T   V
(2.3)

Wir setzen û = U-
ν als innere Energie pro Mol und schreiben die Gleichung für molare Grössen um.

(      )       (    )
   ∂^u            ∂p               RT
  ------   = T   ---     -  p = -------- - p
  ∂Vmol  T       ∂T  Vmol       Vmol - b
(2.4)

Wir setzen Gleichung (2.2) ein und erhalten

(      )
   ∂ ^u         a
  ∂V----   = V-2--
    mol  T     mol
(2.5)

Bei einem idealen Gas wäre a = 0. Damit wäre û unabhängig V mol.

Mit der Gleichung (2.18) bekommen wir

(        )       (     )
  ∂cV,mol          ∂2p        ∂ (    R    )
  -------   =  T  ---2   = T ---  --------  =  0
   ∂Vmol  T       ∂T         ∂T   Vmol - b
(2.6)

Die molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen hängt also nicht vom Volumen ab, sondern nur von der Temperatur

cV,mol = cV ,mol(T )
(2.7)

Damit kann dass Differential der molaren inneren Energie wie folgt geschrieben werden:

                      a
d^u = cV,mol(T )dT +  V2--dVmol
                      mol
(2.8)

Die Differenz der molaren inneren Energie bekommen wir dann durch Integration

                       ∫T                  (  1       1  )
^u (T ,Vmol)-u^(T0,Vmol,0)   cV,mol (T ′)dT ′- a  ------  ------
                       T0                   Vmol    Vmol,0
(2.9)

wobei die Integration des zweiten Summanden ausgeführt wurde. Alternativ kann das Resultat auch so geschrieben werden

             ∫T        ′    ′    a
^u (T,Vmol) =   cV,mol(T )dT  -  ----+  const
            T0                  Vmol
(2.10)

Beim Ausströmprozess kann sich die molare innere Energie nicht ändern, da wir ein abgeschlossenes System betrachten.

^u(T1,Vmol,1) = ^u (T2,Vmol,2)

Dies ist äquivalent zu

T0T2 cV ,mol   ′
(T ) dT′- T0T1 cV ,mol   ′
(T ) dT = T1T2 cV ,mol   ′
(T ) dT
= a(   1        1  )
  -------  ------
  Vmol,2   Vmol,1 (2.11)

Betrachten wir einen Prozess mit einer kleinen Temperaturänderung T2 - T1 « T2, so ist die molare Wärmekapazität bei konstantem Volumen konstant.

cV,mol(T ) = const

Dann sind die Integrale in Gleichung (2.11) lösbar

                      (  1        1   )
cV ,mol· (T2 - T1) = a  -------  ------
                       Vmol,2   Vmol,1
(2.12)

Lösen wir nach der Temperaturdifferenz auf, erhalten wir

                (               )
          --a---  --1---   --1---
T2 - T1 = c       V     -  V
           V,mol   mol,2    mol,1
(2.13)

Beim Ausströmversuch ist V mol,2 > V mol,1. Deshalb gilt für alle van-der-Waals-artigen Gase T2 < T1.


Der Überströmversuch sagt aus, wie gut ein Gas das ideale Gas approximiert. Aus der Temperaturerniedrigung kann der Binnendruck a gemessen werden.

2.22.1  Überströmversuch im Gleichgewicht

PIC

Modifizierter Überströmversuch

Beim Überströmversuch wie im vorherigen Abschnitt beschrieben ist das Gas nicht im Gleichgewicht. Deshalb modifizieren wir den Überströmkanal wie in Abbildung 2.22.1 gezeigt. Eine poröse Masse, ein Wattestopfen beispielsweise, ermöglicht, dass das Gas während dem gesamten Expansionsprozess im Gleichgewicht ist. Das Gas leistet Arbeit an dem Stopfen.

PIC

Bewegung der Masse M durch die poröse Membran

Abbildung 2.22.1 wird verwendet, um die Thermodynamik des Ausströmens im Gleichgewicht zu berechnen. Die Änderung der Energie ist

ΔU  =  U (T2,p2) - U (T1,p1) = U2 - U1
(2.14)

Die folgenden Energieaustausche passieren:

Die mechanische Arbeit ist

W  = p1V1 - p2V2

Wärme wird keine ausgetauscht, da wir isolierte Gefässe annehmen

Q =  0

Die gesamte Änderung der inneren Energie ist dann

ΔU   = W  + Q  = W

Damit wird Gleichung (2.14)

(U2 - U1 ) = p1V1 - p2V2
(2.15)

nachdem die Grössen vorher und nachher sortiert wurden, sieht man, dass gilt

U2 + p2V2 =  U1 + p1V1 = H1  = H2
(2.16)


Beim Überströmversuch mit einem porösen Stopfen bleibt die Enthalpie H erhalten.

Als Gleichung geschrieben, bedeutet dies

H (T2,p2) = H  (T1,p1)
(2.17)

Für ein ideales Gas können wir mit der Zustandsgleichung schreiben

H  = U +  pV =  U (T) + νRT  =  H (T)
(2.18)

Da die innere Energie U eine mit der Temperatur monoton zunehmende Funktion ist, folgt aus der Konstanz der Enthalpie H1 = H2 sofort

T  = T
  1    2

Das allgemeine Differential der Enthalpie ist

dH  = T dS + V dp =  0
(2.19)

Wenn wir die Gleichung für das totale Differential der Enthalpie mit p und T als unabhängigen variablen aufschreiben erhalten wir

0 = dH = T⌊(    )       (    )    ⌋
⌈  ∂S-   dT +   ∂S-   dp⌉
   ∂T  p        ∂p  T + V dp
0 = CpdT + [  (    )      ]
 T   ∂S-   + V
     ∂p
         Tdp (2.20)
Dabei haben wir die Definition von Cp = T(-∂S-)
 ∂Tp und das totale Differential von dS mit T und p als unabhängigen Variablen eingesetzt.

Beim Joule-Thomson-Effekt ist die Enthalpie konstant. Die Änderung der Temperatur mit dem Druck ist dann gegeben durch

                   (   )
(    )           T   ∂S-  + V
  ∂T-   =  μ = - ----∂p-T-----
  ∂p  H               Cp
(2.21)

μ ist der Joule-Thomson-Koeffizient. Seine Einheit ist

       K    m2K
[μ] = --- = -----
      P a     N

Mit der Definition des Volumenausdehnungskoeffizienten und einer Maxwellrelation erhalten wir

( ∂S )       (∂V  )
  ---   = -   ----   = - V α
  ∂p  T       ∂T   p
(2.22)

Wir setzen ein und verwenden die spezifische Wärmekapazität cp

    V--            T-α---1
μ = C  (T α - 1) =    c
      p                p
(2.23)

Für ideale Gase gilt α = 1-
T.


Für ideale Gase ist der Joule-Thomson-Koeffizient
μ =  0


Bei realen Gasen kann μ sowohl positiv wie negativ sein.

α > 1T-
Wir haben μ > 0. Das Gas kühlt sich ab.
α < 1
T-
Wir haben μ < 0. Das Gas erwärmt sich.

Die Kurve α(T,p) = 1-
T heisst Inversionskurve.

PIC

Kurven konstanter Enthalpie H (skizziert nach den Werten von N2. Die Inversionskurve ist schwarz eingezeichnet

Die maximale Temperatur, bei der μ = 0 ist, heisst Inversionstemperatur Ti.

Gas Ti


He  34K
H 2 202K
N 2 625K
Tabelle einiger Inversionstemperaturen Ti

2.22.1.1. Inversionstemperatur für van der Waals -Gase

Die molare Enthalpie ĥ von van-der-Waals-Gasen ist

ĥ = û + pV mol
= f-
 2RT + --a--
V
  mol + V mol·(                )
  --RT----   -a---
  V    - b - V 2
   mol        mol
= RT(             )
  f-  --Vmol--
  2 + Vmol - b----2a----
V - mol (2.24)

Da die Enthalpie konstant ist, berechnen wir

          (   ^  )          (   ^ )
d^h = 0 =  (--∂h--)  dV    + ( -∂h )    dT
           ∂Vmol       mol    ∂T
                   T               Vmol
(2.25)

Die beiden partiellen Ableitungen können mit Gleichung (2.24) berechnet werden.

(    ^  )
( -∂-h--)
  ∂VmolT = ----RT-b----
(Vmol - b)2 + -2a--
V 2mol (2.26)
(    )
( ∂^h-)
  ∂TV mol = R(             )
 f-   --Vmol--
 2 +  Vmol - b (2.27)
Dabei haben wir
  ∂     Vmol         1         Vmol      Vmol - b - Vmol          b
∂V----V------b = V------b- ----------2 = ------------2-- = - ----------2
   mol mol         mol     (Vmol - b)       (Vmol - b)        (Vmol - b)

verwendet. Aus Gleichung (2.25) erhalten wir

              ∂^h     ---Tb---   -2a--
             ∂Vmol   (Vmol--b)2 --RV2mol
dT = - dVmol  ∂^h- =     f + -Vmol-   dVmol
              ∂T        2   Vmol-b
(2.28)

Wir erhalten in Gleichung (2.28) einen Vorzeichenwechsel, wenn

----T-b----   --2a--
(V    - b)2 - RV 2
  mol            mol

Wenn nun V mol » b ist, wenn also das Molvolumen viel grösser ist als das auf das Mol bezogene Eigenvolumen, können wir vereinfachen.

0 ≈ -Tib--  --2a--
    V 2mol   RV 2mol

Damit wird die Inversionstemperatur

     2a
Ti = ---
     Rb
(2.29)

Wir hatten für das van-der-Waals-Gas die kritische Temperatur Tk = 278aRb- ausgerechnet. Sie hing, wie die Inversionstemperatur Ti nur von a und b ab. Also sind Ti und Tk voneinander abhängig.

     27-
Ti =  4 Tk = 6.75 Tk
(2.30)

2.22.2  Anwendung des Joule-Thomson-Effektes

PIC

Luftverflüssigung nach dem Linde-Verfahren

Gase werden in der Regel mit dem Linde-Verfahren verflüssigt (siehe Abbildung 2.22.2). Beim Linde-Verfahren wird Gas durch einen Kompressor durch eine poröse Ausströmdüse gedrückt. ist die Anfangstemperatur unter der Inversionstemperatur Ti, wird das Gas bei der Expansion abgekühlt. Um den Prozess effizienter zu machen, wird das einströmende Gas durch einen Gegenstromkühler vorgekühlt. Ist das Gas genügend vorgekühlt, wird bei der Expansion die Temperatur so stark abgesenkt, dass das Gas verflüssigt wird. Stickstoff (N2) hat eine Inversionstemperatur von 625K und kann also mit dem Linde-verfahren direkt ohne weitere Hilfsmittel verflüssigt werden. Wasserstoff (H2 hat eine Inversionstemperatur, die unterhalb der Raumtemperatur liegt. Wasserstoff muss zum Beispiel mit flüssiger Luft vorgekühlt werden.

Helium mit einer Inversionstemperatur von 34K müsste mit H2 vorgekühlt werden, damit es im Linde-Verfahren durch den Joule-Thomson-Effekt verflüssigt werden kann. Dieses Verfahren wird nicht verwendet, da es zwar physikalisch möglich, aber viel zu gefährlich ist. Wie verflüssigt man also He? man entzieht dem He innere Energie, indem man es in einer Turbine Arbeit leisten lässt!

2.22.2.1. Betrachtung mit Viralkoeffizienten

Wir haben bis jetzt die Zustandsgleichung des idealen Gases

p = nkT

gesehen (n ist die Teilchendichte) sowie die Zustandsgleichung des van-der-Waals-Gases

                 2
p = --nkT-- - an--
    1 - Nnb   N A2
          A
(2.31)

Beide Zustandsgleichungen, sowohl die des idealen Gases wie auch die des van-der-Waals-Gases, sind Näherungen. Wir können die Zustandsgleichung eines realen Gases beliebig genau annähern, indem wir p als Taylorreihe schreiben.

p = kT [n + B  (T )n2 + B  (T )n3 + ...]
              2           3
(2.32)

Die Koeffizienten Bi heissen Virialkoeffizienten. Die Virialkoeffizienten Bi beschreiben die intermolekularen Kräfte und die Wirkung des Eigenvolumens der Teilchen. Je mehr Virialkoeffizienten berücksichtigt werden, desto genauer wird die Beschreibung des Zustandes des Gases.

Wir können die Virialkoeffizienten des van-der-Waals-Gases bestimmen, indem wir Gleichung (2.31) in eine Potenzreihe (Taylorreihe) entwickeln.

           (           )
             kT b    a    2      ∑∞  bj-1  j
p = nkT  +   -----  --2- n  + kT     --j--1n
             NA     N A          j=3 NA
(2.33)

Virialkoeffizient ideales Gas van-der-Waals-Gas reales Gas




B2(T) 0 kNTAb -Na2-
 A B2(T)
B3(T) 0 kTb2-
N2A B3(T)
B4(T) 0 kTbN33-
 A B4(T)
.
.. .
.. .
.. .
..
Bj(T) 0 kT j- 1
bNj-1
 A Bj(T)
.
.. .
.. .
.. .
..
Vergleich der Virialkoeffizienten des idealen Gases, des van-der-Waals-Gases und eines realen Gases

Der Virialkoeffizient B2(T) des van-der-Waals-Gases hängt von der Temperatur ab, die höheren Virialkoeffizienten nicht. Beim idealen gas sind alle Virialkoeffizienten identisch null.

Wir erhalten die erste Näherung der Zustandsfunktion eines realen Gases, wenn wir nur den Virialkoeffizienten B2(T) berücksichtigen.

     N    (     N       )
p =  V-kT   1 + V-B2(T )
(2.34)

Da die langreichweitigen Kräfte zwischen den Molekülen attraktiv sind, ist der Druck des verdünnten realen Gases immer kleiner als der Druck des idealen Gases. Aus Gleichung (2.34) folgt dann sofort in der ersten Näherung, dass

B2 (T ) < 0
(2.35)

Bei sehr hoher Teilchendichte kommt der abstossende Teil der Wechselwirkungskräfte zum Tragen. Dann ist der Druck des realen Gases höher als der des idealen Gases. Wir haben also bei sehr hohen Drucken

B2 (T ) > 0
(2.36)

Da der Druck eines Gases erhöht werden kann, indem man es aufheizt, muss B2(T) mit der Temperatur T zunehmen.

PIC

Temperaturverlauf des Virialkoeffizienten B2(T)

Wenn, was die Regel ist, NV-B2(T) « 1 kann NV- durch -p-
kT ersetzt werden (Annahme des idealen Gases). Wir erhalten

    N kT  (     p       )    N
p = -----  1 + ---B2 (T)  =  --(kT  + pB2 (T ))
      V        kT            V
(2.37)

oder

       (            )
V = N    kT-+ B2 (T )
         p
(2.38)

Damit können wir aus der ersten Näherung der Zustandsgleichung des realen Gases den Joule-Thomson-Koeffizienten berechnen. Aus der Definition von μ (Gleichung (2.23)) und aus der Definition des Volumenausdehnungskoeffizienten α = 1-
V(∂V-)
 ∂Tp erhalten wir

        (   (    )      )       (  (     )      )
     V--  T-  ∂V--           1--     ∂V--
μ =  C  ( V   ∂T    -  1) =  C  (T   ∂T    -  V )
       p           p          p           p

und damit

        (                                       )
μ =  1-- T N-k-+  N T ∂B2-(T-)- N-kT- - N B (T )
     Cp     p           ∂T        p         2

        (                   )
     N--   ∂B2-(T-)
μ =  C    T   ∂T   -  B2(T )
       p
(2.39)

Da aber B2(T) mit der Temperatur zunimmt, ist auch

∂B2-(T-)>  0
  ∂T

und damit

T ∂B2-(T)->  0
    ∂T

Bei tiefen Temperaturen, bei denen die Anziehungskräfte zwischen den Molekülen dominieren, ist B2(T) < 0. Dann ist aber μ > 0. Gase werden durch den Joule-Thomson-Effekt abgekühlt. Die Inversionskurve ist durch μ = 0 gegeben.

  ∂B2-(T-)-
T   ∂T    = B2 (T)
(2.40)

Die Inversionskurve beruht auf dem Wechselspiel von Anziehung der Moleküle bei tiefen Temperaturen und deren gegenseitiger Abstossung bei hohen Temperaturen.



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